Es ist eigentlich nicht meine Intention, in rechtspolitische Debatten, die nicht den Tätigkeitsbereich dieses Unternehmens betreffen, einzugreifen. Dennoch gebietet es meine Auffassung vom Geist unserer Verfassung, dies in diesem Fall zu tun.
Am morgigen Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren Az. 2 BvR 900/22 das Urteil verkünden und damit seine Einschätzung zur Verfassungskonformität des neu geschaffenen § 362 Abs. 5 StPO geben. Dieser lautet:
„Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig, […] 5. wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.“
Trotz aller moralischer Aspekte, die einem die Intention dieser Norm verständlich erscheinen lassen, bleibt zu hoffen, dass die obersten Hüter unserer Verfassung sich nicht dazu hinreißen lassen, einen Grundsatz aufzugeben, der die Rechtsordnung aller moderner Demokratien prägt, der Grundsatz ‚Ne bis in idem‘.
Ungeachtet aller Moral muss eine blinde Justitia für Recht und vor allem Rechtssicherheit sorgen. Das kann sie aber nur, wenn ein rechtskräftiges Urteil auch rechtskräftig bleibt, wenn nicht auf Basis von Wahrscheinlichkeiten ein Tatverdächtiger dem mehrfachen Martyrium einer öffentlichen Hauptverhandlung und der Hetzjagd der Medien ausgesetzt wird.
Der Fall der Frederike von Möhlmann mag traurig sein, mag tragisch sein, mag ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen sein, aber er darf eines nicht sein, er darf nicht der Grund sein, die Grundfeste unseres Rechts über Bord zu werfen. Der Freispruch des dringend Tatverdächtigen ist weder seinem Verhalten noch dem Versagen des Rechts geschuldet, sondern der Zeit, zu der die Tat begangen wurde. Und eines ist sicherlich nicht Aufgabe des Rechts, nämlich gesellschaftliche Moralvorstellungen zu schützen.
Würde das Bundesverfassungsgericht dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben und dieses Gesetz für vereinbar mit der Verfassung einstufen, würde es alles aufgeben, was unser Recht ausmacht. Letztendlich würde es damit selbst die Unschuldsvermutung über Bord werfen und den Tatverdächtigen nahezu rechtlos und zum bloßen Objekt staatlicher Willkür deklassieren.